Allgemein

Harmlose „Spaziergänger*innen“ oder von Rechtradikalen gesteuerter Protest?

Zu den Teilnehmer*innen und Organisator*innen der montäglichen Demonstrationen aus der Querdenken-Szene und dem Umgang mit diesen.

Rechtsradikale in den Demos? 

Wir als Bündnis haben in den letzten Wochen immer wieder darüber berichtet, dass sich an den Demos in Bonn zahlreiche Rechtsradikale beteiligen. Anders als in anderen Städten wie zum Beispiel in Düsseldorf, Magdeburg, Rostock oder München setzen sich die anwesenden Mitglieder der Identitären Bewegung, AfDler, rechte Burschenschaftler und andere nicht immer an die Spitze der Demonstration, sondern laufen erkennbar in dieser mit. In anderen Städten kommt es Woche für Woche zu Übergriffen auf Journalist*innen und die Polizei – die Zusammensetzung der Demonstration und das Spektrum, das angesprochen wird, sind aber vergleichbar. In den Bonner Telegram-Gruppen sind erkennbare Rechtsradikale aktiv, es werden zum Beispiel Beiträge der „Freien-Sachsen“, einer rechtradikalen Splittergruppe, unwidersprochen verbreitet und der Administrator einer der Gruppen gibt sich mit dem Namen „NoReset“ klar als Anhänger der rechtsradikalen und antisemitischen Verschwörungserzählung eines „Great Reset“ zu erkennen.

Die Sozialpsychologin Pia Lamberty weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Konzept der sogenannten „Spaziergänge“ und die Koordination der Proteste deutschlandweit maßgeblich von Rechtsextremen und Verschwörungsideolog*innen geprägt sind und die dezentralen „Spaziergänge“ dazu dienen sollen, bürgerlich zu wirken und Polizei und Staat zu überfordern. Auch in Bonn ist dies zu beobachten. 

Und was ist mit dem Rest?

Natürlich ist die Mehrheit der Teilnehmer*innen nicht Teil der rechten Szene. Offensichtlich stört sie sich aber auch nicht daran, mit Rechtsradikalen gemeinsam zu marschieren. In Bonn wurden zum Beispiel auch von Rechtsradikalen angestimmte Parolen von einem nicht unerheblichen Teil der Demonstration mitgerufen. Es kann erwartet werden, dass sich die Teilnehmer*innen von Rechtsradikalen distanzieren und nicht gemeinsam mit diesen auf die Straße gehen. Wer dies doch tut, trägt aktiv dazu bei, dass die rechte Szene bei den Protesten immer weiter an Einfluss gewinnt. In vielen Teilen Deutschlands geht dies so weit, dass es bei von bekannten Rechtsradikalen organisierten Demonstrationen immer wieder zu Übergriffen auf Journalist*innen und andere kommt, ohne dass sich Teilnehmer*innen von diesen distanzieren, sondern diese sogar unterstützen.

Das CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie) schreibt, dass schon lange absehbar ist „dass dieses Milieu radikaler und gewaltbereiter wird“. Bei vergleichbaren Bewegungen wie PEGIDA hat sich gezeigt, dass diese Radikalisierung immer weiter voranschreitet. Trauriger Höhepunkt der Radikalisierung verschwörungsideologischer Gruppen sind die Morde in Idar-Oberstein und Königs-Wusterhausen mit klaren Verbindungen zur Querdenken-Bewegung, sowie die durch Journalist*innen aufgedeckten Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Kretschmer.

Harmlose Impfgegner*innen?

Ebenso wenig harmlos sind die in den Telegram-Gruppen und auf den Demonstrationen verbreiteten Verschwörungserzählungen und Falschinformationen rund um die Corona-Pandemie. Bereits im August vergangenen Jahres warnte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung vor antisemitischen Stereotypen und Ressentiments die bei den Demonstrationen offen gezeigt werden. In Bonn wurden zahlreiche Geschäfte mit der Parole „Ungeimpfte Unerwünscht“ beschmiert – eine klare Anspielung an die im NS verwendete Parole „Juden unerwünscht“. Dieser Vergleich verharmlost die Verfolgung von Jüd*innen während des Nationalsozialismus.

Auch die Verbreitung von Falschinformationen, vor allem zu den verwendeten Impfstoffen, ist in den Telegram-Gruppen an der Tagesordnung. Es geht hier nicht, wie oft behauptet, um verschiedene Positionen zu einem Thema. Klare und belegte wissenschaftliche Fakten werden geleugnet und so Menschen davon abgehalten, sich vor einer schweren Corona-Erkrankung zu schützen. Auch wird oft von Menschen behauptet, sie hätten ein starkes Immunsystem, welches sie vor einer schweren Erkrankung schütze – wie falsch dies ist, hat zuletzt Dr. Christan Drosten dargelegt. 

Dass all dies höchst gefährlich ist, hat sich zuletzt in einem Thüringer Pflegeheim gezeigt. 28 von 140 Bewohner*innen starben, da sie ungeimpft waren. Angehörige, die an eben diese Falschinformationen glaubten, hatten vielen von einer Impfung abgeraten.

Spaltung der Gesellschaft?

Vielfach wird in der Presse und in sozialen Netzwerken vor der „Spaltung der Gesellschaft“ gewarnt oder diese diskutiert. Oft, zuletzt auch im General Anzeiger, werden die Gruppe der Querdenker*innen und die Menschen, die dagegen protestieren und sich an Schutzmaßnahmen halten, als zwei vergleichbare Gruppen dargestellt, die sich „unversöhnlich gegenüber“ stehen. Dass dies keineswegs der Fall ist, zeigt sich unter anderem, wenn man die Anzahl der Teilnehmer*innen an den wöchentlichen Demonstrationen mit der Anzahl der Personen vergleicht, die sich impfen lassen und an Schutzmaßnahmen halten. 

Dass Menschen sich nicht an Schutzmaßnahmen halten, sich nicht impfen lassen und Falschinformationen verbreiten ist keine Spaltung der Gesellschaft, sondern schlicht und einfach ein kleiner Teil der Menschen, der sich immer weiter radikalisiert und sehr laut ist. Vor allem aber leugnet dieser Teil der Menschen Fakten und wissenschaftliche Erkenntnisse. Es handelt sich hierbei also nicht um eine Spaltung sondern um die Distanzierung einer Gruppe von einer wissenschaftlichen Basis auf der Entscheidungen rund um die Corona-Pandemie getroffen werden. Es kann daher auch keinen Kompromiss oder ein „Aufeinander zugehen“ geben, sondern die einzige Möglichkeit ist, dass diese Personen einfachste Fakten akzeptieren und auf dieser Grundlage Entscheidungen treffen.

Wie wird berichtet?

Die verhältnismäßig kleine Gruppe von Querdenker*innen und Verschwörungideolog*innen ist durch regelmäßige Demonstrationen medial deutlich überrepräsentiert und ihr wird viel Gehör gegeben, zuletzt auch im General Anzeiger, wo Teilnehmer*innen der Querdenken-Demo ohne weitere Einordnung behaupten können, bei den Corona-Impfungen handele es sich um „medizinische Experimente“. Auch mit Überschriften wie „Wir sind weder rechts noch Schwurbler“ oder der Aussage eines Soziologen im Interview, dass der „Impfdruck“ für das Aggressionspotential auf den Demonstrationen mit verantwortlich sei, wird den Protesten und Positionen eine gewisse Legitimation gegeben und es entsteht der Eindruck, es handele sich um eine harmlose Gruppe mit Anliegen, die wie andere Positionen diskutiert werden müssten. Dass oft in undifferenzierter Berichterstattung eine Ursache für gewalttätige Ausschreitungen und Übergriffe gesehen wird, macht uns fassungslos.

Auch überregional wird Anhänger*innen der Querdenken-Bewegung immer wieder eine Plattform in den Medien gegeben, um sich zu äußern. Diese Überrepräsentation wird „False Balancing“ genannt und wurde in den letzten Monaten, zum Beispiel auch im Zusammenhang mit der Berichterstattung über den Klimawandel, viel diskutiert und kritisiert. Auch werden politisch besetzte Begriffe wie der des „Spaziergangs“ einfach in der Presse übernommen, obwohl es sich keinesfalls um Spaziergänge, sondern unangemeldete Demonstrationen handelt.

Bereits bei PEGIDA war ähnliches zu beobachten: Die von Rechtsradikalen organisierten Demos und der dabei transportierte Rassismus wurden durch viele Medien legitimiert und es wurde davon gesprochen „Ängste ernst zu nehmen“ und die Teilnehmer*innen als „besorgte Bürger“ bezeichnet. Auch dies hat zum gesellschaftlichen Rechtsruck der vergangenen Jahre beigetragen.

Was tun?

Dieselben Fehler wie bei PEGIDA im Zusammenhang mit den Querdenken-Demonstrationen zu wiederholen, wird der Szene weiteren Aufwind geben und nicht dazu führen, dass Personen sich von den dort verbreiteten Inhalten distanzieren oder aufhören, an Falschinformationen zu glauben. 

Daher es ist wichtig, im öffentlichen Diskurs und in der medialen Berichterstattung Falschaussagen klar einzuordnen, über wissenschaftliche Erkenntnisse und die Entstehung dieser zu informieren und den Einfluss von rechtsradikalen Strukturen auf die Querdenken-Demonstrationen zu benennen. Nur so kann verhindert werden, dass sich noch mehr Menschen radikalisieren, Rechtsradikale an Einfluss gewinnen und antisemitische Verschwörungserzählungen weiter verbreitet werden.

Genau wie in der Berichterstattung ist es wichtig gegen Querdenken auf die Straße zu gehen und auch als politische Gruppen aufzuklären. Daher werden wir dies auch weiter montags Tun – wir sehen uns auf der Straße!